Gespenster vermeiden es bekanntlich, ihren Namen zu nennen und treiben ihr Unwesen am liebsten dann, wenn sie den Augen der Menschen nicht ausgesetzt sind.
Daß man vor etwa hundert Jahren in einem kleinen Dörfchen der Westeifel einmal ein Gespenst leibhaftig zu sehen bekam, wurde deshalb als ein solches Kuriosum angesehen, daß diese Geschichte noch heute an den langen Winterabenden in den Bauernstuben erzählt - und belacht wird.
Der reichste Mann des Ortes war der Tienesbauer; er nannte den schönsten Hof und die besten Felder sein eigen. Aber seit zwei Tagen hätte nicht einmal der ärmste Tagelöhner mit ihm tauschen wollen. War es doch seit der vorletzten Nacht im Tieneshofe nicht geheuer: Ein Gespenst trieb des Nachts sein Unwesen in dem Hause. Während die Bewohner zitternd in ihren Betten lagen und sich die Decken über die Ohren zogen, polterte es über die Treppe, rumorte in der offenen Küche und spektakelte auf dem Dachboden. Es war ein undefinierbares, hohl und dumpf klingendes Geräusch, das unheimlich durch die weiten Räume des Hauses klang.
In der zweiten geistererfüllten Nacht schwor sich der Tienesbauer, dem Treiben des Gespenstes ein Ende zu bereiten. Da er aber selbst nicht über die nötige Erfahrung in der Behandlung von Gespenstern verfügte, schickte er am nächsten Morgen seinen jüngsten Knecht nach Jucken zu "Ihm Haanes", der im Gerüche eines Geisterbeschwörers stand. Der hatte zuerst mancherlei Ausflüchte; da ihm aber der Knecht, wohl wissend, daß er bei seinem Bauern ohne Geisterbanner sehr schlecht empfangen würde, keine Ruhe ließ und ihm noch eine reichliche Abfindung in Aussicht stellte, nahm er schließlich seinen Knotenstock hinter der Stubentür hervor, ein schweinsledergebundenes Büchlein vom Takenschaaf, stülpte seine Mütze über und stelzte schweigsam hinter dem Knechte her.
Die Dämmerung kriecht bereits durch das enge Tal, als die beiden im Tieneshof anlangen. Ihm Haanes glaubt sich anfangs in ein Trauerhaus versetzt, so ernst die Mienen des Gesindes, so geräuschlos ihr Werken. Fragende, mit Scheu und Bewunderung gemischte Blicke treffen ihn. Der Bauer schildert ihm lang und breit die nächtlichen Vorkommnisse, der Geisterbanner nickt wissend mit seinem grauen Haupt. Die Nacht bricht vollends herein. In der Stube hat sich die Familie und das Gesinde um Ihm Haanes, der eine überaus wichtige und geheimnisvolle Miene zur Schau trägt, versammelt und erwartet die Ankunft des Gespenstes. Der Kienspan knistert, der blaue Rauch aus den Tonpfeifen zieht in Schwaden durch die Stube. Durch die Hände der Mägde gleiten die Perlen des Rosenkranzes. Langsam schleichen die Stunden.
Es geht auf Mitternacht zu, als plötzlich die Köpfe in die Höhe fahren. Da ist er wieder, dieser unheimliche Radau! Diesmal kommt das Geräusch zweifellos vom Dachboden. Der Geisterbanner steht langsam auf, seine Blicke gleiten langsam über die Runde. Seine Frage, wer ihm assistieren wolle hat zur Folge, daß sich die Blicke schnell wieder senken. Schließlich erweist es sich, daß der Mutigste in der Runde der kleine, bisher wenig beachtete Hütejunge Pittchen ist. Pittchen, mit Kerze und weihwassergetränktem Palmwedel ausgerüstet, Ihm Haanes mit dem geheimnisvollen Buch in der Hand, so schleichen sie die Treppe zum Dachboden hinauf, gefolgt von den ängstlichen Blicken der Hausbewohner. Von oben ist noch immer laut und vernehmlich das gespenstische Treiben zu hören. Das Kerzenlicht wirft unheimlich verzerrte Schatten auf die weißen Wände, die alte Treppe knarrt unter ihren Tritten. Ob das Murmeln des Zaubermeisters aus Zaubersprüchen oder Zähneklappern besteht, läßt sich nicht unterscheiden. Das Ende der Treppe ist erreicht. Der Junge soll vorgehen! Pittchen spricht ein Stoßgebet, dann ein tiefer Atemzug und er steht auf dem Speicherboden. Einen Augenblick lang ist es ganz still, auch das unheimliche Geräusch ist verstummt; das ganze Haus hält den Atem an. In diese beklemmende Stille platzt auf einmal das helle Gelächter des "Zauberlehrlings". Diese unerwarteten Laute klingen so befreiend durch das Haus, daß das Leben plötzlich wieder in alter Form zurückzukehren scheint. Bauer und Bäuerin, Knechte und Mägde poltern stürmisch die Treppe hinauf und betreten mutig den Speicherraum. Dort kniet der Junge auf dem Boden und vor ihm windet sich das Gespenst im Kerzenlicht auf der Erde. - Es ist die alte Hauskatze, deren Kopf in einem irdenen Milchtopf steckt.
Diese Töpfe wurden früher zum Warmhalten der Milch des Abends in die warme Asche des offenen Küchenherdes gestellt. Beim Naschen war Miezi in dem Behälter stecken geblieben.
Als das vielstimmige Gelächter der Hausbewohner verklungen ist, sieht man sich nach dem Geisterbeschwörer um. Der aber ist ohne Honorar verschwunden. Auf der Treppe hat er in der Eile sein Geisterbuch liegen lassen; es entpuppt sich als "Goggine, Lehr- und Andachtsbuch für katholische Christen". Der Hütejunge aber hat in seinen alten Tagen noch oft die Geschichte von dem Gespenst auf dem Dachboden erzählt, und durch ihn ist sie uns überliefert worden.
(Einer wahren Begebenheit nacherzählt)
© Hans Theis, Neuerburg